Pandemien mit neuen Viren bedrohen uns auch in Zukunft – Impfstoffe können Schäden begrenzen

Immer wenn neue hochinfektiöse Viren auftauchen, die nicht nur unsere Gesundheit bedrohen, sondern auch enorme volkswirtschaftliche Schäden verursachen können, wird sofort der Ruf nach Impfstoffen laut. Das ist beim aktuellen Corona-Virus SARS-CoV-2 nicht anders, wie es auch schon bei seinen Vorgängern SARS und MERS gewesen ist. Gleiches gilt für das in Brasilien erstmals nachgewiesene ZIKA-Virus, das in Afrika wütende EBOLA-Virus oder alljährlich für neue Varianten des altbekannten Grippevirus. Bei keinen der bekannten Viren mit pandemischem Potenzial ist es bisher gelungen, einen Impfstoff innerhalb eines Jahres zu entwickeln.

Diese wissenschaftliche Spitzenleistung blieb der Entwicklung von Corona-Impfstoffen vorbehalten. Sie zeigt, zu welchen Leistungen die moderne Molekularbiologie und Immunologie in der Lage ist, wenn gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erfolgsdruck hoch genug sind.

Mit der Entwicklung von Corona-Impfstoffen wurden Meilensteine gesetzt, die das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der daran beteiligten Wissenschaftler und Industrien stärken sollten. Wir werden sie brauchen, um auch zukünftigen Pandemien wirksam begegnen zu können.

Tiere sind Reservoir für neue gefährliche Viren

Die meisten der für den Menschen gefährlichen Viren haben ihren Ursprung im Tierreich. Hochrechnungen von Wissenschaftlern auf Basis systematischer Untersuchungen am tropischen Flughund kommen auf die unglaubliche Zahl von über 300.000 potenziell humanpathogener Viren, die in tierischen Wirten leben und dort für den Menschen gefährliche Reservoirs bilden.

Irgendwann können es einige von ihnen schaffen einen Wirtswechsel zu vollziehen und auf den Menschen überzuspringen. Vorrausetzung dafür ist,

dass sie durch Mutationen und Selektion ihre genetische Ausstattung auf die Stoffwechselbedingungen in menschlichen Zellen anpassen. Das wird nicht allen gelingen. Nur wissen wir im Vorhinein nicht, welches Virus wann den Sprung auf den Menschen schafft und wie infektiös es sein wird. Es könnte ein neues, verändertes Corona-Virus sein oder ein Vogelgrippe-Virus, von denen es Vertreter in Russland kürzlich geschafft haben, Menschen zu infizieren. Vielleicht bedroht uns auch ein noch unbekanntes Virus, mit dem bisher keiner gerechnet hat. Fakt ist: Wir wissen es nicht.

Impfstoffe gegen neue Viren beschleunigt entwickeln und herstellen

Virusinfektionen sind nach heutigem medizinischem Kenntnisstand praktisch nicht kausal behandelbar. Deshalb ist es umso wichtiger, durch Quarantäne und Hygienemaßnahmen sie an ihrer Verbreitung zu hindern und Menschen wirkungsvoll vor Ansteckung zu schützen.

Optimalen Schutz vor Virusinfektionen und drohenden Epidemien oder gar Pandemien bieten Impfungen. Sie sind in der Regel sicher, gut verträglich und können im Bedarfsfall das Immunsystem schnell gegen Viren aufrüsten.

Das gilt für altbekannte Viren wie Masern und Grippe ebenso wie für alle neu auftretenden Viruserkrankungen, wenn die verantwortlichen Viren erst einmal identifiziert wurden.

Auf jeden Fall braucht die Impfstoffentwicklung Zeit, die bei einer akuten Infektionswelle nur begrenzt zur Verfügung steht. Gehen wir von normalen Entwicklungszeiten aus, in der Regel müssen einige Jahre einkalkuliert werden, wird deutlich, dass neu entwickelte Impfstoffe für eine aktuelle Pandemie wohl zu spät kommen werden. Der Impfstoff würde also erst bei einem Folgeausbruch seine Schutzwirkung entfalten können.

Es sei denn, die Entwicklungszeit gegen neue Virusvarianten könnte wie bei den Corona-Impfstoffen deutlich verkürzt werden, ohne gleichzeitig die medizinische Sicherheit solcher Biologika zu gefährden. Um dieses Ziel auch bei heute noch unbekannten Viren zu erreichen, sind wissenschaftliche Vorsorge und optimierte Produktionsmethoden notwendig. 

Wissenschaftliche Vorsorge verkürzt Entwicklungszeiten

Unter wissenschaftlicher Vorsorge ist zu verstehen, dass von möglichst vielen in tierischen Reservoirs lebenden Viren das Genom sequenziert und in Datenbanken abgelegt wird. Auf Basis dieser Daten sind amerikanische Forscher jetzt auch dazu übergegangen, die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der ein Virus auf den Menschen überspringen und Unheil anrichten könnte.

Durch diese wissenschaftlichen Grundlagenarbeiten ist es möglich, im Falle einer Infektionswelle mit einem neuen, bisher unbekanntem Virus gezielt nach dem Verursacher zu suchen und verlässliche Virus Diagnostika zu entwickeln. Kann mit solchen Diagnostika das auslösende Virus erst einmal sicher identifiziert werden, ist der Weg zu Massentests, Schnelltests und Selbsttests nicht mehr weit. Auch kann das Genom der Viren laufend beobachtet werden, um frühzeitig auf Mutationen reagieren zu können.

Zellkulturen beschleunigen Herstellungsprozess

Die Kenntnis des Virusgenoms ist Basis für alle modernen Impfstoffe, unabhängig ob es sich um Vektorimpfstoffe oder mRNA-Impfstoffe handelt. Vor der Produktion von Vektorimpfstoffen steht allerdings immer erst die Vermehrung von Vektorviren und relevanter Viruspartikeln.

Da nun aber Viren im engeren Sinne keine Lebewesen sind, die sich eigenständig vermehren können, werden für deren Vermehrung Zellen benötigt, die das Virusgenom so umprogrammieren kann, dass sie die Virusvermehrung übernehmen. Diesen Zweck erfüllen bei der Impfstoffherstellung Hühnereier und zunehmend Zellkulturen von Säugetieren und Hühnern.

Würde es gelingen, alle Vektorimpfstoffe zukünftig in Zellkulturen herzustellen, könnten die Entwicklungs- und Produktionszeiten solcher Impfstoffe um Wochen bis einige Monate verkürzt werden. Bei Impfstoffen gegen neuartige Viren kann das ein entscheidender Vorteil sein, um eine Pandemie schon in einer frühen Phase bekämpfen zu können.
Das Beispiel der Corona-Impfstoffe zeigt, wie schnell eine Entwicklung abgeschlossen sein kann. Wie langwierig die Entwicklung eines Impfstoffes auch dauern kann, zeigt die EBOLA-Epidemie aus 2014. Erst 5 Jahre nach Ausbruch wurde ein experimenteller Impfstoff gegen EBOLA von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen.

mRNA-Impfstoffe sind vollständig zellfrei hergestellt

Moderne mRNA-Impfstoffe benötigen für ihre Herstellung keine Zellkulturen. Ihr „Wirkstoff“, die mRNA eines Virusproteins, wird vollständig synthetisch hergestellt.

In Nanopartikeln aus Fetten verpackt, kann sie in den Oberarmmuskel des Impflings gespritzt werden, um die gewünschte Immunantwort zu induzieren. So einfach das klingt, so komplex ist die Herstellung eines mRNA-Impfstoffes tatsächlich.

Es sind etwa 50.000 Arbeitsschritte notwendig, bis der Impfstoff in der Spritze aufgezogen ist und verimpft werden kann. Dabei dauert die reine Herstellung des Impfstoffes, bestehend aus der Synthese der mRNA im Bioreaktor, Aufreinigung und Verpackung der mRNA in Nanopartikel und schließlich Abfüllung in Injektionsflaschen im Idealfall etwa 4 Wochen. Voraussetzung: Alle Rohstoffe sind in ausreichender Menge vorhanden und in der Qualitätskontrolle kommt es zu keinen Beanstandungen. 

Fazit: Auch in Zukunft werden wir es mit Epidemien und Pandemien zu tun haben, die durch neuartige Viren verursacht werden. Für die erste Welle solcher Infektionen kommt die Entwicklung von Impfstoffen in der Regel zu spät. Deutliche Verkürzungen in den Zeiten für Entwicklung, Zulassung und Produktion neuer Impfstoffe könnte jedoch die Dauer einer Pandemie drastisch begrenzen. Die Corona-Pandemie und der damit verbundene Druck auf Forscher, Hersteller und Behörden haben zu einer erheblichen Beschleunigung aller Prozesse der Impfstoffbereitstellung geführt.

Bild von Jan Felix Christiansen auf Pixabay.

Autoreninfo /

Ralf Kessler hat schon beim Vorgänger des Frankfurter Magazins, der Satirezeitung HERBST, mitgearbeitet und ist ein erfahrener Hase im Journalismus.

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